Was passiert, wenn der Markt alle Bedürfnisse befriedigt? Wenn jedes Produkt in zig Varianten verfügbar ist? Dann muss ein Zusatznutzen her. Das Versprechen von reuelosem, sozial und ökologisch nachhaltigem Konsum bietet sich für viele Produkte an und lässt längst nicht mehr nur die klassischen LOHAS-Käufer (Lifestyle Of Health And Sustainability) die Geldbörse zücken.
Gehen Unternehmen nicht weiter, als “grün” und “fair” über Ökosprech und vereinzelte, öffentlichkeitswirksame Charity-Aktionen zu suggerieren, steht schnell der Vorwurf des Greenwashings im Raum.
Indem nur einzelne, positive Umwelt- und Sozialaspekte in der Produkt- oder Markenkommunikation betont werden (andere, negative wiederum nicht) wird eine verzerrt positive Nachhaltigkeitsbewertung nahegelegt.
Dass Unternehmen das Geschäft mit dem guten Gewissen versuchen ist nicht verwunderlich. Auch ist es durchaus rechtskonform. Denn die Kommunikation von umweltbezogenen Produktinformationen passiert in erster Linie auf freiwilliger Basis, bestenfalls nach selbstauferlegten Umweltmanagementnormen, wie der ISO 14020 (Quelle: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 2019:16ff). Lediglich irreführende und damit wettbewerbsunlautere Werbeaussagen können vor dem Gesetz beklagt werden – doch dafür braucht es auch erst einmal Klagende.
Oft finden sich Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen in dieser Rolle und drängen Unternehmen über Kampagnen bis hin zu Rechtsklagen dazu, Greenwashing zu unterlassen und stattdessen ihre Öko- und Sozialversprechen einzuhalten.
Mit der Detox My Fashion Kampagne engagierte sich zum Beispiel Greenpeace weltweit für die Reduktion des Schadstoffeinsatz’ bei der Textilproduktion. In regelmäßigen Studien verfolgt und publiziert die Umweltschutzorganisation den Fortschritt, Stillstand oder auch das Brechen von gelobter Besserung seitens führender Textilkonzerne.
Für die Textilproduktion unter fairen und sicheren Arbeitsbedingungen setzt sich die Clean Clothes Campaign ein. Die Initiative wirkte auch an der Fair Wear Foundation mit, um Unternehmen bei der Verbesserung der sozialen Bedingungen sowohl in den Textilfabriken selbst, als auch bei Subunternehmen und Lieferanten zu unterstützen und zu kontrollieren.
Trotz des Engagements solcher Organisationen und Initiativen bewegen sich die, die fair und grün konsumieren wollen in einem Dschungel aus schwammigen Produktversprechen.
10 Werbeaussagen, die ihr hinterfragen solltet
„Wir verpflichten uns zu einer umweltfreundlichen Produktion/fairen Arbeitsbedingungen/…“
Nach solchen Claims sollten weitere Informationen folgen! Gibt es unabhängige Audits? Können deren Bewertungsverfahren und Ergebnisse öffentlich eingesehen werden? Oder beruht der Claim auf einer reinen Selbstverpflichtung, auf deren Einhaltung man lediglich vertrauen kann?
„Aus Plastik aus den Ozeanen…“
Fasern aus recyceltem Plastik, welches zuvor aus den Ozeanen gefischt wurde – das ist Umweltengagement in Perfektion! Dennoch sollte man insbesondere bei Claims, die einen solch (kosten)aufwendigen Materialgewinnungsprozess bewerben zwei Mal hinschauen und auf Anteile achten! Macht die beworbene Faser die Basis des Kleidungsstücks aus oder handelt es sich tatsächlich nur um einen verschwindend geringen Anteil?
„vegan“
Eine Tasche aus Polyvinylchlorid (PVC) ist frei von tierischen Bestandteilen. Dem Umweltschutz muss damit aber nicht gedient sein. Ob die Tasche unter für Menschen fairen Bedingungen produziert wurde, geht aus diesem Produktversprechen ebenfalls nicht hervor.
„Unsere Produkte tragen das Siegel…“
Handelt es sich bei dem kreisrunden Motiv auf der Produktverpackung tatsächlich um ein offizielles Siegel? Nach welchen Normen oder Richtlinien wurde zertifiziert? Wurde das Produkt, dessen Rohstoffbasis oder der Produktionsprozess bewertet? Häufig decken Zertifizierungen nur einen Teil der Wertschöpfungskette ab. Beispiel: Das Fairtrade Certified Cotton Siegel bestätigt „nur“, dass der Stoff, also die Baumwolle, aus fairer Produktion stammt (mehr dazu auf Sloris!). Unter welchen Bedingungen die Weiterverarbeitung bis zur tragbaren Kleidung stattfand – darüber sagt dieses Siegel nichts aus. Siegelklarheit findet man unterwegs über die gleichnamige App vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
„bio“
Bio-was? Biobasiert? Aus Rohstoffen aus ökologischem Anbau? Hier kann ein meilenweiter Unterschied bestehen, denn biobasierte Produkte können auch auf Basis von industriellem Mais bestehen, der mit Gentechnikeinsatz aus Monokulturen stammt. Oder doch bio, wie bioabbaubar? Genau hinschauen!
„kompostierbar“
Wie und warum? So lauten die Fragen, die ihr euch oder dem Label bei diesem Claim stellen solltet.
Grundsätzliche Regel der Slow Fashion Revolution lautet zunächst: Rewear, reuse, recycle. Am besten ist es also, wenn die Fasern der abgetragenen Klamotte recycelt und daraus Neues produziert werden kann. Hier ist insbesondere bei Naturtextilien noch einiges an Entwicklungsbedarf erforderlich, während zum Beispiel für Polyester bereits etablierte Recyclingmethoden bestehen. Ist Recycling keine Option, hält unser Entsorgungssystem zwei weitere Verwertungsmöglichkeiten bereit: Kompostierung und Verbrennung.
Verspricht ein Kleidungsstück nun „kompostierbar“ zu sein, ist die erste Frage wo bzw. unter welchen Bedingungen. “Kompostierbar” wie biologisch abbaubar auf dem hauseigenen Kompost? Wenn “normale” Umweltbedingungen zum Abbau ausreichen, kann das Produkt nicht sonderlich langlebig sein. Das macht bei Kleidung insofern wenig Sinn, als wir unter dem Nachhaltigkeitsgedanken nach langlebigen, vielfach trag- und waschbaren Kleidungsstücken streben. Gilt „kompostierbar“ nur unter standardisierten Bedingungen von industriellen Kompostierungsanlagen, schließen sich andere Fragen an: Wie kommt mein Kleidungsstück dorthin? Über die Entsorgung in der Biotonne wohl eher nicht. Denn darin sind Gegenstände, die keine Lebensmittel oder pflanzliche Reststoffe sind, nicht erlaubt.
Und das Warum? Aus Ressourceneffizienzperspektive (das Argument begegnet euch auch unter den Schlagworten Circular Economy oder Kreislaufwirtschaft) macht die Kompostierung nur Sinn, wenn aus den abgetragenen Textilien nährstoffreicher und daher wertvoller Kompost wird. Andernfalls ist die energetische Nutzung, also die Verbrennung bei Entsorgung über den Restmüll, vorzuziehen.
Gar nicht mal so einfach, oder?! Das Versprechen der Kompostierbarkeit wird von Produktherstellern oft mit der Produkteigenschaft der biologischen Abbaubarkeit gleichgesetzt. Diese wiederum macht bei gewissen Kleidungsstücken durchaus Sinn. Beispielsweise bei Fleece: Beim Waschen lösen sich winzige Textilfasern. Bei Fleece aus Kunststoff nährt dies die Mikroplastikproblematik. Baumwollfleece ist hier eine gute Alternative. Unter dieser Perspektive ebenfalls sinnvoll sind Schuhsohlen aus bioabbaubarem Material. Der Abrieb, der in der Umwelt zurück bleibt, zersetzt sich dann eher früher als später.
„natürlich“
Was unbelassen aus der Natur kommt, muss gut sein. Oder? Für Lebensmittel trifft dies oft zu. Beim Einsatz im Textilbereich streben wir allerdings häufig nach Zusatzfunktionen, die nur über Modifizierung des natürlichen Materials erreicht werden können. Solche addierten Materialeigenschaften oder Veredelungen können auch die Langlebigkeit von Kleidungsstücken unterstützen. Ein Beispiel: Eine schmutzresistente Jacke muss weniger häufig gewaschen oder gereinigt werden, der Verschleiß ist geringer und das Kleidungsstück kann länger getragen werden.
„aus nachwachsenden Rohstoffen“
Mit dem Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen werden fossile Ressourcen geschont. Das ist gut, sofern wir auch zukünftigen Generationen die vielen Freuden und Bequemlichkeiten, die sich aus fossilen Rohstoffen ergeben, gönnen möchten. Dieses Kaufargument ist also zunächst auf der ökonomischen Nachhaltigkeitssäule gebaut. Über einen ökologischen Vorteil sagt der Claim aber perse nichts aus. Der Vergleich der Ökobilanz zwischen einem biobasierten und einem Erdöl basierten Textil muss nämlich nicht zwingend zu Gunsten des aus nachwachsenden Rohstoffen bestehenden ausfallen.
„umweltschonend und -freundlich“
Worte wie diese erregen die Aufmerksamkeit von bewusst Kaufenden. Ohne nähere Erläuterung und Belege bleiben sie jedoch schwammig und lassen einen großen Raum für Interpretation. Lasst euch auch nicht visuell in die Pfanne hauen: Nur weil ein Baum oder eine sonstige Bildmetapher für Natur und Umwelt auf der Verpackung prangt, muss der Inhalt nicht zwangsweise von Umweltschutz und Engagement strotzen.
„fair produziert“
Für die Produktionsbedingungen gilt die selbe Frage, wie für Umweltclaims: Gibt es unabhängige Zertifizierungen oder Audits?
Fazit: Lasst euch nicht von plakativen Aussagen blenden!
Die Krux: Beim Konsum stehen wir auf einfache, kurze und knackig heruntergebrochene Informationen. Schlagworte allerdings werden der Komplexität von Nachhaltigkeit nicht gerecht.
Ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit hängen zusammen und doch muss unterschieden werden. Fossile Ressourcen schonend heißt nicht gleich umweltfreundlich. Der Natur ist’s nämlich gleich, ob das schwarze Gold nun fließt oder nicht. Und ein T-Shirt, das aus Biobaumwolle gefertigt wurde, schont vielleicht ein Stück weit auch die Gesundheit der Baumwollbauern. Unter welchen Arbeitsbedingungen diese angebaut wurde und das Shirt dann letztlich gefertigt wurde, ist unklar.
Genießen Marken und Unternehmen eine hohe Reputation in Dingen Umweltengagement und faire Produktion, lässt sich beim Kauf eines neuen Kleidungsstücks durchaus auch mal auf Werbeclaims vertrauen. Produktverpackungen und Anzeigen bieten immerhin nur einen begrenzten Platz und Raum für tiefgehende Information. Allerdings: Claims, die eine faire Produktion und ökologisch nachhaltige Produkteigenschaften suggerieren, sollten auf der Webseite der Marke oder des Unternehmens mit Hintergrundinformation Untermauerung finden. Siegel und Rankings von unternehmensunabhängigen Organisationen sind außerdem eine gute Entscheidungsbasis.
Auch hilfreich: Sich einmal über grundlegende Produktionsprozesse verschiedener Textilien zu informieren. Tricky bleibt dabei, dass Nachhaltigkeitsbewertung letztlich nur auf Produktebene stattfinden kann: Identisch aussehende Tshirts aus dem selben Textil zweier Unternehmen können eine unterschiedliche Sozial- und Ökobilanz aufweisen.
Zum Schluss: Veralbert euch nicht selbst! Viel Gutes zu kaufen, ist ein fauler Kompromiss. Setzt stattdessen auf hochwertig verarbeitete Basics und Klassiker, die ihr pflegt und repariert. “Buy less, choose well, make it last!”, empfiehlt Vivienne Westwood und definiert Slowfashion damit on point.
Neben Neukäufen gibt es zudem Alternativen, um zu einem neuen Teil im Kleiderschrank zu kommen. Aus zweiter Hand gekauft, mit Freunden oder Fremden getauscht oder gar geliehen.